Glasperlenkurs in Letschin
Als meine Freundin mich kürzlich zu einem sogenannten slowtrip einlud, dachte ich noch ok, kann ich ja mal probieren, so ein bisschen raus aus dem Alltag, dem Stress entfliehen, warum nicht? Dann hieß es, wir machen einen Glasperlenkurs. Was ist das? Wozu brauchen wir eine Glasperle? Nun gut, meine Freundin ist Ästhetin und gestaltet Haus und Hof geschmackvoll. Ich bin weder Deko- vernarrt noch Schmuck- affin. Kreativ werden oder gar basteln? Nichts für mich. Wenn ich etwas verforme, ist es Teig oder beruflich auch mal der Spannungszustand menschlicher Gewebe.
Habe dennoch den Link im Netz aufgerufen und erkundet, dass der Kurs in Letschin stattfindet. Nur 45 Minuten zu fahren- passt. Zeit mit meiner Freundin zu zweit hatte ich schon lange nicht mehr, damit waren die Bedenken über Bord und nur 10km weiter wird eine urige Fischgaststätte betrieben, die ich von vor 12 Jahren in guter Erinnerung hatte. Das klang nach einem Plan - erst der Kurs, danach ein leckeres Essen.
Gebucht war am letzten Samstag im September, die Sonne stand beizeiten tief und wir waren kurz vor 14 Uhr am Ortrand von Letschin, der Hof schon außerhalb des Ortsschildes Richtung Kienitz umgeben von abgeernteten Feldern. Es begrüßten uns stille Frühherbstdeko, sowie 2 Hähne, 1 Huhn, 2 Enten und Gänse.
Gefühlt waren wir am Ende der Welt, immerhin ein idyllisches Ende. Wir näherten uns etwas bang in Anbetracht der bevorstehenden Herausforderungen und auf wen wir wohl beim Kurs treffen würden den Gebäuden des Hofes, als uns auch schon eine große blonde Frau mit einem offenen Lächeln begrüßte.
Wir fragten nach einem Örtchen und durften dafür ins geräumige Haupthaus. Gleich mehrere Entdeckungen brachten uns mit der Hausherrin ins Gespräch, die Fotos über die Familie, das opulent mit diversen Kernen, getrockneten Früchten und Körnern gefüllte Vorratsregal in der Küche über Ernährung im Allgemeinen und selbstgemachtes Müsli im Besonderen und im Bad die selbstgetöpferte Seifenschale und die witzigen Rabenbildercomics an den Wänden über die Vielseitigkeit der künstlerischen Interessen der Hausherrin . Auffällig waren in den Töpfen mit chinesischen Bauchnabelpflanzen auf dem Fensterbrett rote Tellerblumen und rote Kugeln, auf denen kleine Frösche saßen- aus Glas! So langsam wurde ich neugierig, allerdings nicht minder ehrfürchtig ob der bevorstehenden Aufgaben.
Wir wechselten aus dem Wohnhaus in den ausgebauten Stall und kamen über eine Treppe in die offene obere Ebene, die uns mit gedecktem Kaffeetisch für 3 Personen, dem Werkstatt- und Kreativbereich und einem Ausstellungsraum empfing. In allen Ecken gab es etwas zu entdecken. Auf Nachfrage entschieden wir uns für sofortiges Kaffeetrinken, so konnten wir uns zunächst weiter unterhalten und die Räumlichkeiten in Augenschein nehmen. Hätte ich im Netz genauer gelesen, wüsste ich bereits, dass Frau Brill zwar Schmuckpartys für mehrere Teilnehmer/innen veranstaltet, aber die Glasperlenkurse aus logistischen und qualitativen Gründen nur für 1-2 Teilnehmer.
Unprätentiös erzählte sie von ihrem Handwerk, wie sie dazu kam, von ihrem Netzwerk mit Kolleg/innen anderer Gestaltungsrichtungen und sehr achtungsvoll von deren Werken, während wir zu viel von dem leckeren Mandelkuchen und dem Kaffee genossen.
Auf dem Tisch lag eine Auswahl an Glasperlen, wie die Unseren dann auch aussehen könnten. Perlen mit Löchern zum Auffädeln für eine Kette beispielsweise. Natürlich können die verschenkt werden, wenn man selbst keinen Schmuck mag. Späte Erkenntnis ist besser als keine Erleuchtung.
Danach wurden wir mit den Arbeitsschutzmaterialien- Lederschürze und UV- Brille versorgt, durften zunächst die Farben für unsere Kugeln und die Technik aussuchen und dem Profi über die Schulter schauen. Sie erklärte alles ganz ruhig und wir bewunderten die geübten Handgriffe, die Präzision und verstanden gefühlt nichts. Frau Brills Perle landete unter weiteren Erklärungen im Ofen zum langsamen Abkühlen gegen etwaige Rissbildung. Prompt waren wir dran.
Meine Freundin war tapfer und ergab sich ihrem Schicksal, als Erste performen zu müssen, während ich das Schauspiel in Ruhe weiter aus sicherer Entfernung beobachten und mit guten Ratschlägen begleiten konnte. Eine wunderschöne Perle verschwand mit sicherem Griff von Frau Brill im Ofen und ich dachte noch, war doch gar nicht so schwer.
Insgesamt 5 Perlen hatten wir geschaffen, die alle in wundervollen Rottönen glühend in dem Ofen landeten. Zu gern hätten wir die fertigen Ergebnisse gleich mit nach Hause genommen. Nach den etwa 24h Abkühlzeit hat Frau Brill sie uns liebevoll verpackt und mit Namen versehen postalisch zugesandt.
Dummerweise vergaßen wir, gleich die passenden Lederbänder mitzunehmen. Da wir auf jeden Fall nochmal nach Letschin fahren, um gläserne Frösche, Hühner und Schafe mitzunehmen, können wir dann auch gleich Lederbänder für unsere Glasperlen aussuchen.
Dankbar für die Erfahrung und unter einem unbestimmten Hochgefühl verließen wir den Hof Richtung Fischgaststätte, wo wir nicht nur unseren gemeinsamen Nachmittag bereden konnten.
Bis zu unserem nächsten Treffen verging erneut einige Zeit. Diesmal konnten wir unsere gar nicht mehr glühend roten Perlen in den Farben bewundern, die wir damals ausgewählt hatten und unseren Familien präsentieren.
Wir haben noch in lebhafter Erinnerung, wieviel Konzentration und Koordination von beiden Händen nötig war. Übrigens: eine Perle haben wir bereits verschenkt und ich werde nun zu besonderen Anlässen eine tragen.